Gymnasiast sagt nach Anschlägen in Brüssel: Radikalen Islamisten geht es um Macht und Einschüchterung (von Christian Kunze)
Noch Tage nach den Anschlägen in Brüssel dominieren die Ermittlungen dazu die Schlagzeilen. Nachdem sich Mitglieder der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) als Täter bekannt haben, ist Vor- und Pauschalurteilen gegenüber dem Islam als Religion Tür und Tor geöffnet.
Firas Zabdeh (17) ist Schüler in Oschatz und Moslem, stammt aus Palästina. Er warnt davor, alle Muslime als Fanatiker abzustempeln. Genau wie sein Bruder, ein erfolgreicher Fußballspieler, ist er in Deutschland geboren und aufgewachsen. „Ich fühlte mich hier nie ausgegrenzt, im Gegenteil“, sagt der Gymnasiast, der in den nächsten Tagen sein Abitur ablegt und unter anderem in der Theatergruppe des Thomas-Mann-Gymnasiums zuletzt in einer Hauptrolle mitgewirkt hat. „Ich bin ein Kind zweier Kulturen, der morgenländischen und der abendländischen“, sagt er. Problematisch sei es für ihn nie gewesen. „Ich war nie ausgegrenzt, nur weil ich keinen Alkohol trinke und kein Schweinefleisch esse.“ Unterschiede zwischen beiden „Welten“ hat er, wenn überhaupt, im Naturell der Menschen festmachen können. „Deutschland ist eine Industrienation. Wie alle Staaten des Westens gelten hier vor allem Struktur, Ordnungssinn, Pünktlichkeit und Produktivität als Maßgaben. Nur weil diese rationalen Eigenschaften in arabischen Ländern nicht so eine große Rolle spielen, heißt das nicht, dass ich sie nicht auch schätze.“
Die islamisch geprägten Völker lebten weniger mit dem Kopf als vielmehr mit dem Herzen. „Gastfreundschaft, Nächstenliebe und Miteinander fallen mir zuerst ein, wenn ich an meine Wurzeln denke“, so der Schüler. Seien es Lehrer, Klassenkameraden, Fußballer und deren Eltern, mit denen Firas Bruder Rami regelmäßig zu tun haben – bei allen Begegnungen geht es nicht darum, dass unterschiedliche Religionen das Leben der Aufeinandertreffenden geprägt haben. Nicht alle Muslime sind Terroristen, es sei ohnehin nicht zielführend, Nationen aufgrund ihres Glaubens zu beurteilen. „Religionen sind da, Leuten im Leben weiterzuhelfen. Letztendlich gehören Religionen nicht zu Ländern, sondern zu Menschen. Jeder hat die Freiheit, der Religion seiner Wahl nachzugehen. Also gehören Religionen, solange nicht in fanatischen Zügen ausartend und anderer Leute Rechte einschränkend, zu Deutschland“, antwortet Firas auf die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Tolerante und integrierte Muslime gehören nach seiner Meinung genauso zu Deutschland wie jeder andere deutsche Staatsbürger. Jedoch gibt es trotzdem auch fundamentalistische Anhänger des Islams, welche die Religion auf eine grausame Art und Weise instrumentalisieren. „Dabei geht es meist um Macht, um Einschüchterung oder den eigenen Vorteil dieser Prediger“, sagt der Oschatzer.
Radikale Salafisten oder Selbstmordattentäter sind in seinen Augen von extremen Lesarten des Koran geprägt, die jeder Grundlage entbehrten. Wenn islamischer Terror stattfindet, sterben dabei auch unbeteiligte Moslems. Darüber spreche nur niemand. Stattdessen werde gegen ganze Volksgruppen Stimmung gemacht. Nutznießer von Pauschal- und
Vorurteilen seien Vertreter und Anhänger von Bewegungen wie Pegida oder teils auch der AfD. „Wer sich deren Programm durchliest, merkt schnell, dass es die Einschränkung der Rechte aller vorsieht, die in Deutschland leben – egal, wo sie herstammen.“
Eine Herausforderung sei der Umgang mit dem Islam im Zuge der voranschreitenden Globalisierung. „Je mehr Moslems rund um die Welt unterwegs sind, um so mehr dringt der Islam auch dorthin vor, wo andere Religionen dominieren. Dass beide nebeneinander existieren können, erfordert den Willen, das fremd Erscheinende zu betrachten, zu analysieren und in allen Facetten kennen zu lernen“. In Deutschland profitiere Firas Zabdeh beispielsweise von den Weihnachts- und Osterferien, die auf christlichem Glauben basieren. Andererseits gibt es während des Fastenmonats Ramadan für ihn keine Ferien. Beides gelte es zu tolerieren. Diese Bereitschaft wünscht sich Firas noch verstärkt in seinem Umfeld. Nicht trotz, sondern wegen der Anschläge in Brüssel.